Abseits der Verkehrswege, in einer weiten Landschaft am Großen Havelländischen Hauptkanal liegt die zu Bergerdamm gehörende Siedlung „Hanffabrik“. Von der Landstraße Berge–Hertefeld zweigt hier die von zweigeschossigen Doppelwohnhäusern mit Zollingerdächern geprägte Siedlerstraße ab. In der angrenzenden Fabrikstraße stehen schlichtere, eingeschossige Wohnhäuser und eine 1920 errichtete Schnitterkaserne. An ihrem Ende blieb ein auffällig großes Gebäude, das einst für die Verwaltung der Fabrik genutzte „Gutshaus“, erhalten. Material zur Geschichte der Siedlung und der Fabrik sammeln der Ortsvorsteher Torsten Strebel und Siegfried Helbig.
Danach hatte die Deutschen Hanfanbau-Gesellschaft hier 1918 eine Fabrik zur Hanfverarbeitung, Hanfröste genannt, in Betrieb genommen. Ihr Standort befand sich inmitten riesiger Anbauflächen, denn der Boden im Havelländischen Luch war für die Hanfpflanzen ideal (siehe: http://faserstoffpapier.zentrumfuerpapier.de, Eintrag vom 28. Mai 2021). Drei riesige Scheunen, in denen das Hanfstroh einer Ernte gelagert wurde, prägten das Bild des Hanfwerkes. Dazwischen gab es kleinere Hallen für das Kesselhaus, die Werkstätten und die eigentliche Produktion – überragt von dicken Rohren mit einem Zyklon für die Staubabsaugung.
Vom Bahnhof Bergerdamm führte eine normalspurige Anschlussbahn auf der Ostseite der Landstraße in das Werk hinein. Der Bahnhof an der Strecke zwischen Nauen und Paulinenaue war von 1893 bis 1993 in Betrieb und wird heute von Zügen nur noch durchfahren. Das längst abgebaute Anschlussgleis gab es möglicherweise schon seit 1914: Damals war hier auch ein großes Feldbahnnetz für die Melioration des Luchs in Betrieb genommen worden. Für die Arbeiten wurden Tausende von Kriegsgefangenen eingesetzt, welche unter anderem in einem Lager nördlich der Hanffabrik untergebracht waren.
Initiator für den Hanfanbau und den Bau der Hanfröste war Arthur Schurig (1869–1932). Der aus Paretz bei Ketzin stammende Ingenieur hatte 1908 im Luch die Staatsdomäne Hertefeld gekauft und wurde zu einem Vorbild für die moderne Landwirtschaft. Seit etwa 1920 ließ er unter anderem Berliner Hausmüll als Dünger auf seine Äcker verteilen. Vor allem beim Hanf und bei Zuckerrüben erbrachte der Müll einen erheblichen Mehrertrag. Am Ende des Ersten Weltkrieges baute Schurig auf fast all seinen Äckern Hanf an. Auch nach dem Krieg lief das Geschäft gut, weil mit dem Hanf der Ausfall des vorher aus der Kolonie Deutsch-Ostafrika kommenden Sisals kompensiert wurde. Zu der Zeit arbeiteten etwa 250 Menschen in der Fabrik Bergerdamm, damals die größte Hanfröste der Republik.
Nach einem Niedergang Ende der 1920er Jahre lebte der hiesige Hanfanbau mit der Autarkiepolitik der Nationalsozialisten wieder auf. Der Hanf, aber auch Flachs, wurden im Werk Bergerdamm sowie in den zwischen 1936 und 1938 in Betrieb genommenen Rösten Fehrbellin und Rhinow verarbeitet. 1972/73 wurde der Anbau von Hanf im Ruppiner und im Havelländischen Luch eingestellt, die drei genannten Betriebe als Teil des neugegründeten VEB Plakotex auf die Produktion von Kunststoff-Nähgewirken unter anderem für Lkw- und Abdeckplanen umgestellt. 1992 wurde das Plakotex-Werk Bergerdamm stillgelegt und 2004/05 abgebrochen.
Der in der Region angebaute Hanf war nach dem Mähen auf den Feldern in Bündeln zum Trocknen aufgestellt worden. Die Samenkörner wurden ausgedroschen und als Saatgut, für Vogelfutter oder für die Pflanzenölgewinnung verkauft. Dann wurden die oft mehr als drei Meter langen, entblätterten Stengel in Becken mit knapp 30 Grad warmen Wasser geröstet. Nach etwa 30 Stunden lösten sich die Fasern vom Holzkörper. Zu DDR-Zeiten entfiel diese Wasserröste. In einem vereinfachten Prozess wurde das vorgetrocknete Hanfstroh in der Hitze von etwa 20 Meter langen Trockenöfen mit Hilfe von Chemikalien aufgeschlossen.
Anschließend wurdes das geröstete Material in Knick- und Schwingmaschinen weiterverarbeitet, so die letzten Holzteilchen entfernt. Die entstandenen Hanffaserbündel, Werg genannt, wurden zu armdicken Zöpfen gedreht und zu Ballen gepresst. So wurden sie zu den Spinnereien und Seilereien transportiert. Die übrig gebliebenen Holzteilchen, Schäben genannt, wurden traditionell in Dampfkesseln verfeuert. Der darin erzeugte Dampf diente zum Heizen aber auch zum Antrieb einer Dampfmaschine für die Stromversorgung. Je nach Saison halfen sich die Arbeiter in der Landwirtschaft und in der Fabrik gegenseitig aus.