Die Laudatio von IGOR KROITZSCH, Teil 3:
„Da damit ein Beispiel besteht, wo die Ü b e r s c h w e m m u n g der vermeintlichen Zeichen, die das Einzelzeichen – als das Bezeichnende – auslöschen, gelange ich direkt zu ILKA RAUPACH, weil das Semantische nunmehr als Gegenfall realiter auftritt. Denn ihre herausgesuchten und zusammengenähten Leinenstoffe beinhalten informativ eine Sozialgeschichte der Frau direkt am Stoffobjekt, im Besticken ins Wörtliche gewendet, mittels inhaltlicher Ausformulierungen von Botschaften d u r c h die filigrane Geschicklichkeit der weiblichen Hand, angebliche charakterliche Notwendigkeiten behauptend sowie verinnerlichend.
Lange habe ich mit der Künstlerin darüber diskutiert. Thematisch sehe ich es negativ. Jene reproduzierte Fleißideologie – vom Biedermeier bis zum Wilhelminischen – dient für mich als Ankettung an das l e i n e n e Material, im Häkeln, Stricken, Sticken, Klöppeln; ja der Kreuzstich wird selbst zur Kreuzbürde. Nach dem nimmermüden Motto: „Der Wäscheschrank / das glaube mir / ist der Hausfrau beste Zier / an dem Linnen / kannst du schauen / das Wesen unserer deutschen Frau“ und so weiter. Wobei viele Einzelwörter dabei zusammengeschrieben wurden, als wäre der Inhalt unauslöschlich zwangsläufig gegeben. Einfach – im Nachhinein gesehen – individuelles Pech, das daran ‚klebt‘.
Da finden sich vielerlei Verkleinerungsformen – als Verniedlichungen der Sachverhalte – vom Mütterlein angefangen zur Hypertrophie von „Stolz“ und „Ehr“, in einem altbackenen Rollenverständnis, welches bäuerlich sowie kleinbürgerlich dupliziert wurde, als das angeblich erstrebenswerte Charakterwesen des a b h ä n g i g e n Weibes, unter dem Deckmantel der Traditionsweitergabe.
Doch die heute lächerlich erscheinenden Sprüche der Ohne-Fleiß-kein-Preis-Ideologie beinhalten praktisch, das heißt in der Anfertigung, die V e r g e u d u n g von Lebenszeit. Die Applikationen zweier überdimensionierter Frauenkleider von Ilka Raupach verdeutlichen es klug an der h o c h gehängten Wäscheleine, dem Unerreichbaren. Unabhängig was Muttern sagte, wir [das heißt sie, die Frauen] ziehen uns das ‚Kleid‘ schließlich selber an, als die zweite Haut unseres Bewußtseins, bar eines ‚Rechtes‘ auf Faulheit, was in diesem Falle subversiv wäre …
VERONIKA MOOS bringt das Dilemma direkt auf die erhalten gebliebene Waage des einstigen Bahnhofsvorplatzes, die immer noch ambivalent beim Betreten schwankt. Ihr Thema: „Lebensraum auf dem Prüfstand“. Doch keine nennenswerten Gewichte kommen aufs Tableau. Leinen als einst Aufwiegbares: die Aussteuerkiste zeigte den Wert der Jungfer. Gewogen – zu leicht befunden.
Die Künstlerin nahm Industrieleinen, dessen Webkanten als A b f a l l angesehen wird, umband diese den Weidenzweigen zu kuppelnden Rutenbögen, die mich an einen durchschreitbaren ‚Brautpaargang‘ erinnern – nach dem berühmten Motto „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“ -, wenn die Frischvermählten aus der Hochzeitskirche kommen, hier unter dem Blau der Indigofarbe, der trügerischen Hoffnung.
Wobei ich an dieser Stelle anmerken möchte, weiß macht d o p p e l t soviel Mühe. Und der Schmutz, jede ungewollte Verfärbung, ist ihm der größte Feind, wie noch heute jede Waschmittelwerbung der so Bedrängten suggeriert, für das endliche gute Gewissen, gegen die Pein. Bis zum nächsten Dreckfleck. Die Tragödie, das ewige Ringen um Sauberkeit, beginnt von Neuem, als allerhöchste Verantwortung gegenüber der sogenannten Familie.
Zum Schluß schlage ich einen Bogen von Uli Fischer zu HEIKE BERL. Wie er arbeitet sie in der Ausstellung besonders mit unberechenbaren Witterungseinflüssen, die lediglich einkalkuliert sind, dann erhofft werden …
In ihrer hier gegenständlichen Arbeit wurde die Rohstoffmasse Flachs in Wasser aufgelöst. Die entstehende Papierpulpe wird umso feiner, je länger man den Brei mixt. Ist das Gemisch in der gewünschten Konsistenz, gelangt es flächig auf die Gaze, die in ihrem Fall eine solche ist wie in der Serigraphie verwendet. Diese Siebe, die ja Rahmen haben, entsprechen in der Sichtweise Heike Berls dem ‚klassischen‘ B i l d.
Ihr Blütenthema beispielsweise findet Eingang in das e n t s t e h e n d e Material, indem sie – mittels einer Pipette – die Fünfblattblüte, übrigens in der Natur ebenso blau, a l s Zeichnung ins Feuchte des sich später ‚konstituierenden‘ Papiers einbringt. Schon der aquarellartige Verlauf der Farbe ist kaum planbar, dringt von der Oberfläche in die Tiefe dessen, was sich später im Trocknungsvorgang verfestigen wird.
Doch das Experimentierfeld geht weiter. Denn die Bild- u n d Papierschöpfung findet im Freien statt, ist allen Einwirkungen der Umwelt ausgesetzt. Regentropfen schlagen kleine Krater in die angehende Papierlage, Lindenblüten fallen in die Fasermasse, die Elster hüpft darüber oder – zum Entsetzen der Künstlerin – hackt gar hinein. Wind und Sonne, jeder Zufall, unterstreichen verstärkend oder abmindernd haptische Materialeigenheiten. Ich benutze den Plural. Weil in diesem work in progress auch die Frage nach der Beliebigkeit auftaucht. Wo ist der sinnvolle Endpunkt des Unterfangens? Das A u s s e t z e n des angehenden Kunstwerkes gegenüber den Variablen wirkt spannend, kann aber auch schiefgehen. Unterscheidungsmerkmale als auch die Fähigkeiten des Unterscheidens machen das Wesen der Kunst bekanntlich mit aus …
Wenn ich das in der Sommerakademie Geschaute auf e i n e Begrifflichkeit bringen müßte, dann fiele mir das Wort „Fragilität“ zuerst ein, was nicht nur den verwendeten Materialien geschuldet ist, sondern auch der B e h u t s a m k e i t der beteiligten Künstlerinnen und Künstler in ihren Handhabungen.“