Zur Vernissage besprach der Dramatiker IGOR KROITZSCH in seiner Rede die Werke aller acht KünstlerInnen im Einzelnen. Wir geben seine Ausführungen in drei Abschnitten auf dem Blog wieder.
Teil 1:
„ULI FISCHER setzte in einem durchdachten Minimalismus, im ursprünglichen Gleisbett des einstigen Bahnhofes von Großderschau, sieben in Fahrrichtung a u f s t e i g e n d e Holzpfosten, welche jeweils Leinenhüllen – aus unterschiedlichen Gewebesorten – übergestülpt bekamen. Die Geradlinigkeit der so verkleideten Pfähle entspricht den ebenso aufrechten Stengeln des Flachses, der darunter gesät worden war, jedoch aufgrund der Trockenheit kaum aufkeimte. Sieben ist eine magische Zahl, sieben Farben zählt der Regenbogen. Deshalb tragen die Pfähle entsprechende Farbstreifen auch als Farbkappen, deren Tönungen angemischt sind aus Schreibtusche und Holzbeize. Ich sah noch vor wenigen Tagen die wie mit einem Lineal scharf gezogenen Farblinien, welche inzwischen durch halbtägige Regenschauer nach u n t e n zerflossen, zur fruchtbar vermögenden Erde, also auf jenen Ort hin, auf den die hier gegenständliche Pflanze immer angewiesen ist. Dabei können wir den Gedankenansatz von Uli Fischer über Transport und Transformation weiterverfolgen … [Foto oben]
Was Feuchtigkeit vermag, genauer Wasser und Licht, sehen wir geradezu optisch seziert in den Mikrofotografien von EVA-MARIA SCHÖN. Sie fotografierte in einem Botanischen Institut aufgehende Hanf- und Leinsamen in ihrem unmittelbaren B e g i n n e n unter dem Mikroskop. Mit diesen Einblicken begegnet uns das Universum des Lebens, jener geheimnisvolle Kosmos des eigentlich Unerwartbaren, fast schwebender organischer Pflanzenembryos, als geradezu außerirdische Wesen, die nach einem i n n e r e n Bauplan sich entfalten. Keimlinge, welche die feste Samenschale aufsprengten, in ihrer ersten Phase, um sich im R a u m ‚freizuschwimmen‘, Haare und Tentakeln vorsichtig entfaltend. Mittels der Schärfe der verwendeten Optik erleben wir die ungeheure Kraft dieser Organismen – inhärent allem Lebendigen -, die doch zart und gefährdet zugleich sind, wenn die Umweltbedingungen sich verändern oder gar kippen.
Der Gegensatz von Totem und Lebendem, welcher ein Übergang in b e i d e Richtungen bleibt, findet sich überzeugend in der Plastik des Schweizers RUEDI FLURI. Er widmete sich einem abgestorbenen Baum, der so tot nie ist, denn im Abgestorbenen leben Käfer und Würmer, die das Holz ‚bearbeiten‘.
Hier setzt Fluri an, in dem er eine zellulare Metamorphose inszeniert. Er schafft am Stamm, aus ihm herauswachsend künstliche Räume mittels ursprünglich nassem Pappmaché aus Zeitungspapier als hüllendes Material. Mit einfachen Mitteln der freien Skulptur erweckt er etwas, was ich das Transitorische nennen möchte. Geometrische Formen, die an den Papierwespenbau erinnern, jedoch aufgrund ihrer Kantigkeit das Unorganische behaupten und beweisen, weil die Formenphantasie uns sagt, diese Auswüchse gehen nimmer mit rechten Dingen zu. Der Künstleransatz verrät die Affinität von Fluri zur Architektur, die auch biographisch bei ihm verankert ist.
Aber er geht darüber hinaus, indem er die Chance zur Wiederbelebung assoziiert. Und in der Tat, sie ist gegeben, denn direkt vor dem temporären Kunstwerk liegt ein sich regender, beginnender Waldameisenhügel, deren Tierchen sich der künstlerischen Angelegenheit bemächtigen können.
Unwägbare Witterungsumstände sind in dieser Freiluftausstellung immer zu berücksichtigen, nicht nur der positiven Verwandlung im Sinne einer angedachten Fortsetzung, der möglichen Neubehausung wie in diesem Falle, als Insektenhotel, sondern auch des kommunikativ-anschaulichen Verlustes.“