Zu Beginn des Jahres konnten die Künstlerin Anke Meixner, Teilnehmerin des Symposiums, eine weitere Künstlerin und ich als Gasthörerinnen der Hochschule Wismar im Studiengang Verfahrens- und Umwelttechnik an einer Vorlesung zum Thema Faseraufbereitung nachwachsender Rohstoffe teilnehmen. Dozent war Dr. Hans-Jörg Gusovius, Arbeitsgruppenleiter Verfahrenstechnik für Faserpflanzen am Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB) in Potsdam. Arbeitsgebiete dieser Forschungsgruppe sind:
– Ernte und Konservierung von Naturfaserpflanzen,
– Aufbereitung und Verarbeitung von Naturfaser- sowie weiteren Lignocelluloserohstoffen,
– Anwendung von Naturfaserrohstoffen in innovativen Anwendungsbereichen,
– Methoden der chemischen, morphologischen und mechanischen Fasercharakterisierung sowie
– Lehrveranstaltungen zum Thema „Faserpflanzentechnologien“, zum Beispiel an der Hochschule Wismar, an der wir teilnehmen konnten.
Einen Vormittag lang erhielten wir Einblicke in die Forschungsarbeit zum Thema Hanf- und andere Bastfasern.
„Das ATB entwickelt Technik, Verfahren und Managementstrategien mit dem Ziel, hochdiverse bioökonomische Produktionssysteme intelligent zu vernetzen und wissensbasiert, adaptiv und weitgehend automatisiert zu steuern. Mit seiner Forschung schafft das ATB wissenschaftliche Grundlagen für die Transformation in eine umfassende biobasierte Kreislaufwirtschaft“, heißt es auf der Internetseite des Instituts unter www.atb-potsdam.de.
Der Vortrag begann mit Informationen über Pflanzenfasern im Allgemeinen, ihre Unterscheidung in Samen-, Bast-, Blatt-, Frucht- und Holzfaserpflanzen und ihren biologischen Aufbau.
Dr. Gusovius referierte weiter über die Entwicklung von Anbauflächen in den einzelnen Bundesländern und über wenige oder erst im Aufbau befindliche Verarbeitungsunternehmen von Hanffasern in Deutschland, sprach aber vorrangig über die Forschung an den Nutzungsmöglichkeiten der Bastfaserpflanzen Hanf und Flachs.
Nach dem weltweiten Siegeszug von Baumwolle und Chemiefasern gab es in den 1980er Jahren eine Flachs- und in den 1990er Jahren eine Hanfanbaurenaissance in Europa, wobei zum Beispiel in Frankreich der Hanfanbau trotz gegenteiliger Entwicklung in Europa nie zum Erliegen kam. Zunehmende Diskussionen um Nachhaltigkeit und Klimaschutz in der Landwirtschaft führten zum erwähnten Aufschwung, aber Verwaltungs- und EU-Vorschriften sowie mangelnde Weiterverarbeitungsmöglichkeiten brachten diesen Anbauboom wieder zum Erliegen.
Derzeit besteht erneut wachsendes Anbauinteresse an Nutzhanf, der im Zusammenhang mit EU-Förderprogrammen und modifizierten Anbauauflagen zu sehen ist, sich aber nur durchsetzen wird, wenn zu gesicherten Anbaumöglichkeiten auch Absatz- bzw. Weiterverarbeitungsmöglichkeiten für die Agrarwirtschaft bestehen. Letztere befinden sich in Deutschland zumindest erst wieder im Aufbau, eine der Forschungsaufgaben des Instituts besteht in der Entwicklung moderner Maschinen und ihrer Einsatzmöglichkeiten.
Hanf als wassersparende, bodenaufbereitende Pflanze, die keine Pestizide braucht und gülleverwertende Eigenschaften besitzt, könnte bei regionalem Anbau vier- bis fünfmal so viele Arbeitsplätze in der Landwirtschaft binden als es die derzeitige konventionelle Landwirtschaft kann.
Das ATB forscht an Prozessen der Verwertung der kompletten Pflanze und der Entwicklung innovativer Materialien aus Pflanzenfasern oder aus organischen Reststoffen für Anwendungen im Bauwesen, heißt also der Nutzung sowohl der Faser für die Textil- und Baubranche, der Frucht für die Pharma-, Kosmetik- und Lebensmittelbranche als auch des anfallenden Reststoffes Schäben, der derzeit in der Tierhaltung als Einstreu und in der Baubranche als Dämmstoff Verwendung findet. Immerhin bestehen mehr als die Hälfte der Hanfpflanze aus dem holzigen Kern des Stängels (Schäben nach Aufbereitung der Pflanze genannt) und 20 … 30 % aus Fasern.
Während europaweit 55 % der Faserproduktion in die Papierherstellung gehen, vorrangig in Spanien und in der Türkei, gibt es in Deutschland keine nennenswerte Hanfpapierproduktion, auch wenn einige wenige Anbieter wie die Papierfabrik Gmund und das Unternehmen Hahnemühle Hanfpapier anbieten. In Deutschland widmen sich Anbau, Verarbeitung und auch Forschung eher dem Thema Bau- und Verbundwerkstoffe und Textilien aus Hanf, so auch das ATB Potsdam.
Sehr interessant waren zudem die Ausführungen von Dr. Gusovius über internationale Forschungsprojekte des Leibniz-Instituts. So engagiert sich der Arbeitsbereich von Dr. Gusovius zusammen mit Projektpartnern aus Deutschland und der Zielregion in Zentralasien für die Wiedernutzung von versalzenen Ackerflächen mit Hilfe von angepassten Rohstoffpflanzen und in Kasachstan für die Gewinnung von Textilhanf auf ehemaligen Baumwollstandorten.
Für uns Gasthörerinnen stellte sich schließlich die Frage, ob eine Zusammenarbeit zwischen dem ATB und dem paho-Künstler*innennetzwerk entstehen könnte. Ideen dafür gibt es bereits.