Vom Moor zur Hanffabrik

Torsten Strebel, der Bürgermeister von Hanffabrik bei Bergerdamm ist zugleich geschichtsinteressierter Heimatforscher und sammelte als solcher seit vielen Jahren Dokumente und Zeitzeugnisse über das Dorf Hanffabrik im Zusammenhang mit dem Hanfanbau und seiner Verarbeitung in der Region. Seinen authentischen, kleinteiligen Bericht in ganzer Länge zu veröffentlichen, würde den Rahmen dieses Webblogs sprengen.
Dennoch stellen wir hier ein Exzerpt aus den Schriften von Torsten Strebel vor, in Ergänzung zum Beitrag von Sven Bardua (siehe Beitrag 10. März ebenda).
Teil 1, Von der Urbarmachung bis zur Abwicklung:

Bergerdamm mit seinen Ortslagen beziehungsweise Wohnplätzen Bergerdamm-Lager, Hanffabrik und Hertefeld ist ein Ortsteil der Stadt Nauen im Landkreis Havelland des Landes Brandenburg. Das Dorf Hanffabrik ist eines der jüngeren Dörfer des Havellandes, erwähnt im Ortsverzeichnis wurde es erstmals 1897. …
Bis zum Ende des Mittelalters war das Luch von der Zivilisation fast unberührt. Auf den Horsten wuchsen Gräser, Buschwerk und Bäume. Das Moor war, je nach Ortslage und Witterung, ein offener See oder eine auf Morast schwimmende üppige Pflanzendecke. In der unberührten Natur lebten – mitten in Europa – Wölfe, Bären, Luchse, Schildkröten und Adler. …
Am 30. Mai 1714 begann der Oberjäger Meister Samuell Freiherr von Hertefeld im Auftrag Seiner Königlichen Majestät Friedrich Wilhelm 1. mit einer geplanten Luchbegehung sowie einer ersten Vermessung. Sein Urteil über die Aussichten einer Kultivierung fiel so günstig aus, dass er 1718 den Auftrag zum Baubeginn von Meliorationseinrichtungen gab. …
Der Bau der Hanffabrik im Jahr 1918 durch die „Deutsche Hanfanbau-Gesellschaft“ begründete die Entstehung des Dorfes. Nach anfänglichen Problemen mit dem Bau der Fabrik, die nach dem 1. Weltkrieg und der Inflation auftraten, kam bis Mitte der 1920er Jahre sowohl die Fertigstellung der Fabrikanlagen als auch der Wohnungsbau im Dorf richtig in Gange. Die für die Fabrik erforderlichen Materialien und Baustoffe wurden größtenteils auf dem Havelländischen Hauptkanal mit Booten befördert. Seitlich neben der Uferböschung laufende Pferde zogen die Boote bis in die Nähe der Fabrik, wo diese dann abgeladen wurden. …
Der Hanf wurde auf einem Großteil der Flächen rund um das Dorf angebaut. Ein Teil der Flächen war im Frühjahr und Herbst sehr nass und sumpfig. Um die Situation für den landwirtschaftlichen Anbau zu verbessern, kaufte (der Unternehmer und damalige Besitzer, d.A.) Arthur Schurig Asche und Müll aus Berlin auf und füllte damit die Felder auf. Ganze Züge mit Müll aus der Hauptstadt wurden bis zum Ende der 1930er Jahre auf den Bahngleisen bis zum Bahnhof Bergerdamm transportiert. Mit der sogenannten Luchbahn, die einen normalen Reichsbahnanschluss am Bahnhof Bergerdamm besaß, wurde der Hausmüll mit Güterwaggons in Richtung des Ortes transportiert. Hier wurde er auf die Loren eines weit verzweigten Feldbahnnetzes und auf Fuhrwerke verladen und rund um den Ort auf die tiefliegenden Flächen gebracht und verteilt. …
Ab Anfang der 1940er Jahre kamen durch die Kriegsfolgen vermehrt deportierte Zwangsarbeiter in den Ort. Sie waren, wie die Wanderarbeiter auch, in den Kasernen untergebracht und mussten die Bezeichnung „Ost“ an ihrer Arbeitskleidung tragen. …
1940 wurde auf dem Gelände der Hanffabrik als zweite Baustufe eine neue Produktionshalle errichtet. Sie bestand aus vier Wergstraßen mit je einem Trockenofen und zwei Wergpressen. Auf der Produktionshalle und dem Kesselhaus waren sogenannte Zyklone montiert, worüber die Schäben – ein Abfallprodukt bei der Hanfverarbeitung – als Brennmaterial in die Dampfkesselfeuerung als Brennmaterial geblasen wurden. Während des Zweiten Weltkriegs wurden vorwiegend französische Kriegsgefangene für die körperlich schwere Arbeit in der Fabrik eingesetzt. …
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Betrieb in einen Volkseigenen Betrieb umgewandelt. …
Der Hanfanbau wurde in den 1950er Jahren stark vorangetrieben. Auf dem Gelände der Hanffabrik standen in den 1960er Jahren bis zu 15 Mieten Hanfstroh mit einer Gesamtlänge von 50 bis 60 Metern, einer Breite von 20 Metern und einer Höhe von 8 bis 10 Metern. In diesen Mieten wurde das Hanfstroh bis zum Ende der Ernte in den Herbstmonaten eingelagert. Angeliefert wurde es per Achse oder Eisenbahnwagon. Der Betrieb hatte einen gut ausgebauten Gleisanschluss und so wurden die Waggons mit der betriebseigenen Diesellok zur Entladung vom Bahnhof Bergerdamm in den Betrieb geholt. …
In manchen Jahren wurden bis zu 10.000 Tonnen Hanfstroh eingelagert. Oft standen die Fahrzeuge der Bauern und landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften bis in das Dorf hinein vor der Waage zum Wiegen an. …
An den Wochenenden mussten oft Wergballen, dass Endprodukt der Hanffabrik mit einem Gewicht von 50 bis 60 kg per Hand in Waggons oder auf Fahrzeuge verladen werden. … Ab 1960 wurden überschüssige Schäben in das Hauptwerk nach Fehrbellin gefahren. Sie waren ein Abfallprodukt bei der Gewinnung der Hanffaser, das von der Hanffaser abgetragene Holz. Diese Schäben wurden im Fehrbelliner Werk zu Schäbenpressplatten weiterverarbeitet. …
1972 wurde der Hanfanbau eingestellt und 1973 die gesamte Hanfproduktion. Der Betrieb wurde auf die Produktion von „Plastebeschichtung und Konfektionierung technischer Textilien“ umgestaltet und firmierte unter „Plakotex“. Es wurden Planen und Zelte in verschiedenen Variationen hergestellt, die zum Teil auch exportiert wurden. Mit dieser Ausrichtung arbeitete der Betrieb bis 1992. …
Mit der „Wende“ stagnierte die Produktion … und so musste die Produktion im Mai 1992 eingestellt werden. Der Betrieb wurde von der Treuhandgesellschaft übernommen, die Abbau, Verkauf beziehungsweise Verschrottung der Maschinen abwickelte. …
Nach der Jahrtausendwende begann im Herbst 2004 der Abriss der Fabrik. Mit dem in der Fachsprache „beschäftigungswirksamen Rückbau“ begann die Märkische Grundstückssanierungsgesellschaft mbH (MGS), ein Tochterunternehmen der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, im Oktober 2004 mit dem koordinierten Abriss der restlichen, kompletten Fabrikanlagen.

Aufbau einer Hanfmiete mit Förderband


Mietaufbau 1966 mit Traktor und Greifer zur Zwischenlagerung von Flachs und Hanf im Rhinluch am Bastfaserkanal
Hanftransport 1966
Werksbahn, um 1950
Fotos: Archiv Torsten Strebel


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